|
|
Meister Eckhart Predigten
8.
Von der Vollendung der Zeit
»In
der Zeit ward der Engel Gabriel gesandt von Gott.« In welcher Zeit? Im sechsten
Monat, als Johannes im Mutterleib zappelte. Wenn mich nun einer fragte: Warum
beten wir oder warum fasten wir oder wirken wir all unser Werk? so antworte ich:
Darum, dass Gott in unserer Seele geboren werde. Warum ist alle Schrift
geschrieben und warum hat Gott die Engelsnatur und alle Welt geschaffen? Darum
allein, dass Gott in der Seele geboren werde. Alles Kornes Natur meint Weizen,
alles Schatzes Natur Gold, alle Gebarung meint Mensch. Wie ein Meister spricht,
gibt es kein Tier, das nicht etwas mit dem Menschen in der Zeit gemein hat.
Sankt
Paulus spricht: »In der Vollendung der Zeit sandte Gott seinen Sohn.« Sankt
Augustin ward gefragt, was das sei, die Vollendung der Zeit? Vollendung der Zeit
ist, wenn der Tag nicht mehr ist: dann ist der Tag vollendet. Es ist eine
sichere Wahrheit, wo diese Geburt geschehen soll, da muss alle Zeit hinab sein,
denn es gibt nichts, was diese Geburt so sehr hindert, als Zeit und Kreatur. Es
ist eine notwendige Wahrheit, dass die Zeit an Gott und die Seele nicht rühren
kann. Könnte Zeit an die Seele rühren, so wäre sie nicht Seele. Könnte Gott
von der Zeit berührt werden, so wäre er nicht Gott.
Eine
andere Vollendung der Zeit! Wer die Kunst und die Macht hätte, dass er die Zeit
und alles, was in sechstausend Jahren je geschah oder noch geschehen wird bis an
das Ende der Welt: wenn einer das heranziehen könnte in ein gegenwärtiges Nu,
das wäre Vollendung der Zeit. Das ist das Nu der Ewigkeit, wo die Seele alle
Dinge in Gott erkennt, so neu und so frisch und in derselben Lust, wie ich sie
jetzt gegenwärtig habe. Die mindeste Kraft in meiner Seele ist weiter als der
weite Himmel. Ich sehe ab von der Vernunft, in der ist Weite über Weite, in der
bin ich so nahe dem Ort, der tausend Meilen weg ist, als dem Ort, worin ich
jetzt stehe. Die Meister sagen, die Menge der Engel sei ohne Zahl, ihre Zahl könne
nicht begriffen werden. Wer aber ohne Zahl und ohne Menge unterscheiden könnte,
dem wäre hundert wie eins. Wären gleich hundert Personen in der Gottheit, so
erkennte er doch, dass nur ein Gott ist. Dass Gott in uns geboren werde, das
walte Gott. Amen.
9.
Ein Zweites vom namenlosen Gott
Wenn
die Seele in die namenlose Stadt kommt, da ruht sie aus; wo alle Dinge Gott in
Gott sind, da ruhet sie. Die Stadt der Seele, die Gott ist, die ist ungenannt.
Ich sage, dass Gott ungesprochen ist. Einen unserer ältesten Meister, der die
Wahrheit schon lange und lange vor Gottes Geburt gefunden hat, ehe der
Christenglaube vorhanden war, wie er jetzt ist, den dünkte es, dass alles, was
er von den Dingen sprechenkönnte, etwas Fremdes und Unwahres in sich trüge;
darum wollte er schweigen. Er wollte nicht sagen: Gebt mir Brot, oder gebt mir
zu trinken. Aus dem Grunde wollte er nicht von den Dingen sprechen, weil er von
ihnen nicht so rein sprechen konnte, wie sie aus der ersten Ursache entsprungen
seien: darum wollte er lieber schweigen, und seine Notdurft zeigte er mit
Zeichen der Finger. Da nun er nicht einmal von den Dingen reden konnte, so
schickt es sich für uns noch mehr, dass wir ganz und gar schweigen müssen von
dem, der da ein Ursprung aller Dinge ist.
Nun
sagen wir, Gott sei ein Geist. Dem ist nicht so. Wäre Gott eigentlich ein Geist,
so wäre er gesprochen. Sankt Gregorius spricht: Wir können von Gott nicht
eigentlich sprechen. Was wir von ihm sprechen, das müssen wir stammeln.
Ich
pflege oft ein Wörtlein zu sprechen und es ist auch wahr: Wir rufen alle Tage
und schreien im Paternoster: Herr, dein Wille geschehe! Wenn aber dann sein
Wille geschieht, so wollen wir zürnen und ergeben uns nicht in seinem Willen.
Was er auch tut, dass müsste uns das Beste dünken und am allerbesten gefallen.
Die es so zum besten nehmen, die bleiben allewege in ganzem Frieden. Ihr aber
sprecht manchmal: Ach, wäre es anders gekommen, so wäre es besser, oder wäre
es nicht so gekommen, so wäre es vielleicht besser gekommen. Solange dich das dünkt,
gewinnst du nimmer Frieden. Du sollst es zum allerbesten nehmen.
Ich
sprach einst: Was eigentlich gewortet werden kann, das muss von innen
herauskommen und von seiner Form ausgehen und darf nicht von aussen hineingehen.
Das lebt eigentlich im Innigsten der Seele. Da sind dir alle Dinge gegenwärtig
und innerlich lebend und
suchend und sind im Besten und im Höchsten. Warum empfindest du das
nicht? Da bist du nicht heimisch. Je höher im Rang ein Ding ist, um so
allgemeiner ist es. Den Sinn habe ich gemein mit den Tieren und das Leben mit
den Bäumen. Das Sein ist mir noch tiefer innen, das habe ich gemein mit allen
Kreaturen. Der Himmel ist mehr als alles, was daneben ist, darum ist er auch höher
im Range. Die Liebe steht hoch im Rang, weil sie allgemein ist. Es scheint
schwer, dass unser Herr geboten hat, man solle den Mitchristen lieben wie sich
selbst. Dies fasst der gemeine Mann gewöhnlich so auf, man solle sie in
demselben Sinne lieben, in dem man sich selber liebt.
Nein, so
soll es nicht sein. Man soll sie ebensosehr
lieben wie sich selbst, und das ist nicht schwer. Wollt ihr's gut
merken, so ist es mehr Lohnes wert als ein Gebot. Das Gebot scheint schwer, und
der Lohn ist begehrenswert. Wer Gott liebt, wie er ihn lieben soll und muss (ob
er will oder nicht), und wie ihn alle Kreaturen lieben, der muss seinen
Mitmenschen lieben wie sich selbst und sich seiner Freuden und Ehren freuen und
danach trachten wie nach seiner eigenen Ehre, und nach dem Fremden wie nach dem
Seinen.
Und so ist der Mensch allezeit in Freuden, in Ehren und in
Nutzen, so ist er ganz wie im Himmelreich und so hat er stärkere Freuden, als
wenn er sich allein seines Gutes freute.
Und
wisse in Wahrheit, ist dir mehr an deiner eigenen Ehre als an der eines andern
gelegen, so ist es unrecht. Wisse,
wenn du das deine suchst, da findest du Gott nimmer, wenn du nicht rein Gott
suchst. Du suchst etwas mit Gott, Lind tust gerade so wie wenn einer aus
Gott eine Kerze machte, mit der man etwas sucht, und wenn man das Ding findet,
so wirft man die Kerze weg. So tust du: was du mit Gott suchst, das ist nichts,
Nutzen, Lohn, Innerlichkeit oder was es auch sei; du suchst nichts, darum
findest du auch nichts. Alle Kreaturen sind lauter Nichts. Ich sage nicht, dass
sie gering sind oder wenig sind: sie sind gar nichts. Wer kein Sein hat, ist
nichts. Alle Kreaturen haben kein Sein, denn ihr Sein hängt an der Gegenwart
Gottes. Kehrte sich Gott einen Augenblick ab, sie würden zunichte. Ich sprach
manchmal und so ist es auch: Wer die ganze Welt nähme und Gott dazu, der hätte
nicht mehr als wenn er Gott allein hätte. Alle Kreaturen haben nicht mehr ohne
Gott, als wer eine Mücke hätte ohne Gott, ganz ebenso, nicht weniger und nicht
mehr. Fürwahr, nun achtet auf ein wahres Wort.
Gäbe
ein Mensch tausend Pfund Goldes, auf dass man damit Kirchen und Klöster baute,
so wäre das ein grosses Ding. Aber doch hätte der viel mehr gegeben, der
tausend Pfund für nichts achten könnte: der hätte viel mehr getan als jener.
Als Gott alle Kreaturen schuf, da waren sie so erbärmlich und so eng, dass er
sich nicht darin bewegen konnte. Jedoch die Seele machte er so sich gleich und
so eben das Nämliche, damit er sich der Seele hingeben könnte: denn was er ihr
sonst geben könnte, das achtet sie nicht. Gott muss mir sich selbst zu eigen
geben, so wie er sich selbst gehört, oder es wird mir nichts und es schmeckt
mir nichts. Wer ihn so ganz empfangen will, der muss sich selbst ganz ergeben
haben und aus sich selbst herausgegangen sein.
Ich
ward einst gefragt, was der Vater im Himmel täte? Da sprach ich: Er gebiert
seinen Sohn, und dies Werk ist ihm so reizend und gefällt ihm so gut, dass er
nichts anderes mehr tut, und aus ihnen beiden erblüht der heilige Geist. Wenn
der Vater seinen Sohn in mir gebiert, so bin ich dieser Sohn und kein anderer;
unter Menschen gibt es da einen und dort einen, aber da bin ich derselbe und
kein anderer.
Gottes
Natur ist, dass er gibt, und sein Wesen hängt daran, dass er uns gibt, wenn wir
demütig sind. Sind wir das nicht, so empfangen wir auch nichts und tun ihm
Gewalt an und töten ihn. Wenn die Seele der Zeit und des Raumes ledig ist, so
sendet der Vater seinen Sohn in die Seele. Es spricht ein Wörtlein: »Die beste
Gabe kommt von oben herab, vom Vater der Lichter.« Dass wir bereitet seien, die
beste Gabe zu empfangen, dazu verhelfe uns Gott, der Vater der Lichter. Amen.
»Fürchtet
nicht, die euch körperlich töten wollen, denn die Seele können sie nicht töten,«
denn Geist tötet nicht Geist. Geist gibt dem Geist Leben. Die euch töten
wollen, das ist Blut und Fleisch, und das stirbt miteinander. Das Edelste, was
am Menschen ist, ist das Blut, wenn es guten Willens ist. Aber das Aergste, was
am Menschen ist, ist das Blut, wenn es bösen Willens ist. Siegt das Blut über
das Fleisch, so ist der Mensch demütig, geduldig und keusch und hat alle Tugend
in sich. Siegt aber das Fleisch über das Blut, so wird der Mensch hochfahrend,
zornig und unkeusch und hat alle Untugend in sich.
Nun
passt auf, ich will jetzt sagen, was ich nie gesagt habe. Als Gott den Himmel,
die Erde und alle Kreaturen schuf, da wirkte Gott nicht; er hatte nichts zu
wirken; in ihm war auch kein Werk. Da sprach Gott: »Wir machen einen Gleichen.«
Schöpfen ist ein leichtes Ding, das tut man, wenn und wie man will. Aber was
ich mache, das mache ich selbst aus mir selbst und in mir selbst und drücke
mein Bild ganz und gar darein.
Als
Gott den Menschen machte, da wirkte er in der Seele sein Werk des Gleichen, sein
wirkendes und sein immerwährendes Werk. Das Werk war so gross, dass es nichts
anderes war als die Seele: die war das Werk Gottes. Gottes Natur, sein Wesen und
seine Gottheit hängt daran, dass er in der Seele wirken muss. Gottes
Segen, Gottes Segen! Wenn Gott in der Seele wirkt, dann liebt er sein
Werk. Das Werk ist die Liebe und die Liebe ist Gott. Gott
liebt sich selbst und seine Natur, sein Wesen und seine Gottheit. In der
Liebe, worin Gott mich liebt, liebt er alle Kreaturen. Nicht als Kreaturen liebt
er sie, sondern die Kreaturen als Gott. Mit der Liebe, worin Gott sich liebt,
liebt er alle Dinge.
Nun
will ich sagen, was ich nie gesagt habe. Gott empfindet und schmeckt sich selbst.
Mit dem Geschmack, womit Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Kreaturen,
nicht als Kreaturen, sondern die Kreaturen als Gott. In dem Geschmack, womit
Gott sich schmeckt, schmeckt er alle Dinge. Nun
passt auf. Alle Kreaturen nehmen ihren Lauf zu ihrer höchsten
Vollkommenheit. Nun bitte ich euch, vernehmet bei der ewigen Wahrheit und bei
meiner Seele. Nun will ich sagen, was ich nie gesagt habe: Gott und Gottheit
unterscheiden sich so sehr wie Himmel und Erde. Ich sage mehr: Der innere und
der äussere Mensch unterscheiden sich gleichfalls so sehr wie Himmel und Erde.
Der Himmel steht viel tausend Meilen darüber. Gott
wird und wird zunichte. Nun komme ich wieder auf meine Rede: Gott
schmeckt sich selbst in allen Dingen. Die Sonne wirft ihren lichten Schein aus
auf alle Kreaturen, und worauf die Sonne ihren Schein wirft, das zieht sie in
sich und verliert doch nicht ihre Scheinhaftigkeit. Alle Kreaturen geben ihr
Leben um ihres Wesens willen auf. Alle Kreaturen tragen sich in meine Vernunft
hinein, damit sie in mir vernünftig sind. Ich allein bringe alle Kreaturen zu
Gott zurück.
Wartet,
was ihr alle tut. Nun komme ich wieder auf meinen innern und äussern Menschen.
Ich betrachte die Lilien auf dem Felde und ihren lichten Schein und ihre Farbe
und alle ihre Blätter. Aber ihren Duft sehe ich nicht. Warum? Weil der Duft in
mir ist. Aber auch was ich
spreche, ist in mir, und ich spreche es aus mir heraus. Alle Kreaturen
schmecken meinem äussern Menschen als Kreaturen, als Wein und Brot und Fleisch.
Aber meinem innern Mensehen schmeckt nichts als Kreatur, sondern als Gabe Gottes.
Und mein Innerster Mensch schmeckt sie nicht als Gabe Gottes, sondern als immer
und ewig. Ich nehme ein Becken mit Wasser und lege einen Spiegel hinein und
setze es unter das Rad der Sonne, so wirft die Sonn ihren lichten Schein aus dem
Rad und aus dem Boden der Sonne und vergeht doch nicht. Das Widerspiegeln des
Spiegels in der Sonne ist in der Sonne. Ist
Sonne und sie ist doch was sie ist. So ist es mit Gott. Gott ist mit
seiner Natur, seinem Wesen und seiner Gottheit in der Seele, und er ist doch
nicht die Seele. Das Widerspiegeln der Seele ist in Gott. Ist Gott und sie ist
doch was sie ist. Gott wird da zu allen Kreaturen -Gottes Sprechen wird da zu
Gott.
Als
ich in dem Grunde, in dem Boden, in dem Fluss und in der Quelle der Gottheit
stand, da fragte mich niemand, wohin ich wollte oder was ich täte: da war
niemand, der mich fragte. Als ich floss, da sprachen alle Kreaturen Gott Fragte
man mich: Bruder Eckhart, wann gingt Ihr aus dem Hause? Da
war ich drinnen. So sprechen alle Kreaturen von Gott. Und warum sprechen
sie nichts von der Gottheit? Alles, was in der Gottheit ist, ist eins, und davon
ist nichts zu sprechen. Gott wirkt, die Gottheit wirkt nicht, sie hat nichts zu
wirken, in ihr ist kein Werk. Gott und Gottheit unterscheidet sich wie Wirken
und Nichtwirken. Wenn ich wieder in Gott komme, dann bilde ich nicht, so steht
meine Mündung viel höher als mein Ursprung. Ich allein bringe alle Kreaturen
aus ihrer Vernunft in meine Vernunft, dass sie in mir eins sind. Wenn ich in den
Grund, in den Boden, in den Fluss und in die Quelle der Gottheit komme, so fragt
mich niemand, woher ich komme oder wo ich gewesen sei. Da vermisste mich
niemand, das hört da alles auf.
Wer
diese Predigt verstanden hat, dem gönne ich's gern. Wäre hier kein Mensch
gewesen, so hätte ich sie diesem Stocke predigen müssen. Es sind etliche arme
Leute, die gehen wieder heim und sagen: ich will mich auf den Stuhl setzen, und
mein Brot essen und Gott dienen. Ich sage aber in Wahrheit, diese Leute müssen
verirrt bleiben und können nimmer erreichen und erlangen, was die andern
erreichen, die Gott in Armut und Entblösstheit nachgehn. Amen.
Ein
Lehrer spricht: Du reicher Gott, wie wohl wird mir, trägt meine Liebe Früchte
dir!
Unser
Herr spricht zu einer jeglichen liebenden Seele: »Ich bin euch Mensch gewesen,
wenn ihr mir nicht Götter seid, so tut ihr mir unrecht. Mit meiner göttlichen
Natur wohnte ich in eurer menschlichen Natur, so dass niemand meine göttliche
Gewalt kannte und man mich wandeln sah wie einen andern Menschen. So sollt ihr
euch mit eurer menschlichen Natur in meiner göttlichen Natur bergen, dass
niemand eure menschliche Schwäche an euch erkenne und dass euer Leben zumal göttlich
sei, dass man an euch nichts erkenne als Gott.« Und das geschieht nicht dadurch,
dass wir süsse Worte und geistliche Gebärden annehmen und dass wir im Geruch
der Heiligkeit stehen oder dass unser Name fern und weit getragen werde und wir
von Gottes Freunden geliebt werden oder dass wir von Gott so verwöhnt und verzärtelt
sind, dass es uns vorkommt, Gott habe alle Kreaturen vergessen bis auf uns
allein, und dass wir wähnen, was wir von Gott begehren, das sei jetzt alles
geschehen.
Nein, nicht also! Nicht das heischt Gott von uns; es steht
ganz anders.
Er
will, dass wir frei und unbewegt gefunden werden, so man uns nachsagt, wir seien
falsche und unwahrhafte Leute, und was man sonst von uns sprechen kann, um uns
unsern guten Leumund zu nehmen, und nicht allein, dass man schlecht von uns
spricht, sondern auch schlecht gegen uns handelt und uns die Hilfe entzieht, die
wir für unsern Lebensbedarf nicht entbehren können, und nicht allein am Bedarf
göttlicher Dinge, sondern uns auch an unserm Körper schädigt, dass wir krank
werden oder sonst in schmerzliche Mühsal des Körpers verfallen, und wenn die
Leute, während wir in allen unsern Werken das allerbeste tun, das wir ersinnen
können, uns das zum allerbösesten kehren, das sie ersinnen können, und wenn
wir das nicht allein von den Menschen erdulden, sondern auch von Gott, so dass
er uns den Trost seiner Gegenwart entzieht und gerade so tut, als wäre eine
Mauer zwischen uns und ihm aufgerichtet, und wenn er, falls wir mit unsrer Mühsal
zu ihm kommen, um Trost und Hülfe zu suchen, sich dann gegen uns benimmt, wie
wenn er seine Augen vor uns schlösse, so dass er uns nicht sehen noch hören
will und er uns allein stehen lässt im Kampf mit unsern Nöten, wie Christus
von seinem Vater verlassen ward: sehet, dann sollten wir uns in seiner göttlichen
Natur bergen, dass wir in unserer Trostlosigkeit so unerschüttert stünden, uns
mit nichts anderm zu helfen als allein mit dem Worte, das Christus sprach: »Vater,
all dein Wille werde an mir vollbracht.«
Gott
ist ein so beschaffenes Wesen, dass man es am besten mit Nichts erkennt. Wieso
mit Nichts? Dadurch, dass man alles Mittel abtut, aber nicht etwa bloss der Welt
entsagen und. Tugend haben, sondern ich muss auch die Tugend lassen, wenn ich
Gott unmittelbar sehen will; nicht so, dass ich der Tugend entsage, sondern die
Tugend soll in mir wesenhaft wohnen und ich soll über der Tugend wohnen. Wenn
so des Menschen Gedanken kein Ding mehr berühren kann, dann erst berührt er
Gott. Ein heidnischer Meister sagt, dass die Natur über die Natur nichts
vermag. Daher kann Gott von keiner Kreatur erkannt werden. Soll er erkannt
werden, so muss das in einem Licht über der Natur geschehen.
Die
Meister haben eine Frage, woher das komme, wenn Gott die Seele über sie selbst
und über alle Kreaturen erhebe und er sie zu sich selbst heimgeführt habe,
warum er denn den Leib nicht auf eine höhere Stufe hebe, so dass er irdischer
Dinge nicht bedürfte? Dies beantwortet ein Meister - ich glaube, es ist Sankt
Augustin - und sagt folgendes: Wenn die Seele zur Vereinigung mit Gott gelangt,
erst dann ist der Leib vollkommen dazu gelangt, dass er alle Dinge zu Gottes
Ehre geniessen kann. Denn um des Menschen willen sind alle Kreaturen
ausgeflossen, und was der Leib vernünftig von den Kreaturen geniessen kann, das
ist für die Seele kein Abfall, sondern eine Erhöhung ihrer Würde, denn die
Kreatur könnte keine edlere Mündung finden, um wieder zu ihrem Ursprung zu
gelangen, als den rechten Menschen, der einen Augenblick seiner Seele gestattet,
dass er in die Vereinigung mit Gott hinaufgezogen wird. Denn zwischen Gott und
der Seele ist dann kein Hindernis, und sofern die Seele Gott in die Wüste der
Gottheit folgt, sofern folgt der Leib dem lieben Christus in die Wüste der
freiwilligen Armut, und wie die Seele mit der Gottheit vereint ist, so ist der
Leib mit der Wirkung wahrer Tugend in Christus vereint. So kann der himmlische
Vater wohl sprechen: »Dies ist mein lieber Sohn, in dem ich mir selber wohl
gefalle,« denn er hat nicht allein in die Seele geboren seinen eingeborenen
Sohn, nein, er hat sie selbst seinem eingeborenen Sohn geboren.
Wohlauf,
aus allertiefstem Herzen! Mensch, was kann dir hart oder bitter zu leiden sein,
wenn du recht betrachtest, dass der, der da in der Form Gottes und im Tage
seiner Ewigkeit im Glänze der Heiligen war, und der zuvor geboren war als ein
Strahl und eine Substanz Gottes, dass der in den Kerker und den Leim deiner
beschmeckenden Natur kommt, die so unrein ist, dass alle Dinge, so rein sie sich
ihr nahen, in ihr stinkend und unrein werden, und dass er doch um deinetwillen gänzlich
hineingesteckt werden wollte? Was gibt es, das dir nicht süss sein sollte zu
leiden, wenn du die Bitternis deines Herrn und Gottes zusammenliest und wenn du
zurückdenkst an all die Bitternis und all die Schmach, die auf ihn fiel? Welche
Schmach und Schande er litt von den Fürsten und von den Rittern und von den bösen
Knechten und von denen, die den Weg vor dem Kreuze auf und nieder gingen? Wie
die Klarheit des ewigen Lichtes verspieen und verspottet und verhöhnt ward? Fürwahr,
welch eine grosse schuldlose Barmherzigkeit und wohlbewährte Liebe, die mir an
keinem Orte so vollkommen gewährt ward, als an dem Orte, wo die Kraft der Liebe
aus seinem Herzen brach! Darum mache dir ein Bündel aus allerhand Bitternis
deines Herrn und Gottes und lass es allezeit zwischen deinen Brüsten wohnen,
und sieh seine Tugend an und beschaue sie, wie fördersam er dein Heil in allen
seinen Werken bedacht hat, und gib wohl acht, dass du ihm mit derselben Münze
vergiltst seinen schändlichen, schmachvollen Tod und seine schmerzhafte Natur,
mit der er ohne Schuld für deine Schuld gelitten hat, als ob es seine eigene
Schuld wäre, wie er selbst in dem Propheten von seinem Schmerze spricht, indem
er sagt: »Seht, das leide ich um meiner Verschuldung willen,«und wo er von der
Frucht seiner Werke spricht, da sagte er: »Seht, diesen Reichtum sollt ihr
besitzen für eure Werke,« und nennt unsre Sünde seine Sünde und sein Werk
unsere Werke, denn er hat unsere Sünde gutgemacht, als ob er sie selbst getan hätte,
und wir besitzen den Lohn seiner Werke, gerade als ob wir sie gewirkt hätten.
Und dies soll unsere Mühsal gering machen, denn der gute Ritter klagt nicht um
seine Wunden, wenn er den König ansieht, der mit ihm verwundet ist. Er bietet
uns einen Trank, den er zuvor getrunken hat. Er schickt uns nichts, was er nicht
vorher getan oder gelitten hätte. Darum sollen wir grosse Liebe zum Leiden
haben, denn Gott hat nie etwas anderes getan, solange er auf Erden war. Dass wir
so unsre menschliche Natur und all unsre Schwäche in göttliche Natur
verwandeln und verlieren, dass an uns nichts gefunden werde als lauter Gott, das
walte Gott. Amen.
Als
ich heute hierherging, überlegte ich mir, wie ich euch so vernünftig predigen
könnte, dass ihr mich wohl verstündet, und ich dachte mir ein Gleichnis aus.
Wenn ihr das recht verstehen könntet, so verstündet ihr meinen Sinn und den
Grund aller einer Meinungen, den ich immer predigte. Es war aber das Gleichnis
von meinen Augen und von dem Holze. Wenn mein Auge aufgetan wird, so ist es mein
Auge. Ist es zu, so ist es dasselbe Auge, wegen des Sehens geht dem Holze weder
etwas ab noch etwas zu. Nun merket recht auf. Geschieht aber das, dass mein Auge
an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen
wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie
in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, so dass man sagen kann: Auge-Holz,
und das Holz ist mein Auge. Wäre aber das Holz ohne Materie und ganz geistig,
wie das Gesicht meiner Augen, so könnte man in Wahrheit sagen, dass in der
Wirksamkeit meines Gesichts das Holz und mein Auge aus einem Wesen bestehen. Ist
dies wahr von körperlichen Dingen, viel mehr wahr ist es von geistigen Dingen.
Ihr sollt wissen, mein Auge hat viel mehr Einheit mit den Augen eines Schafes,
das jenseits des Meeres ist, und das ich nie gesehen habe, als mit meinen Ohren,
mit denen es doch eins ist im Wesen; und das kommt daher, weil das Auge des
Schafes dieselbe Wirksamkeit hat wie mein Auge, und daher spreche ich ihnen mehr
Einheit im Wirken zu als meinen Augen und Ohren, denn die sind im Wirken
verschieden.
Ich
habe manchmal von einem Licht gesprochen, das in der Seele ist und das
ungeschaffen und unerschafflich ist. Eben dieses Licht pflege ich allewege in
meiner Predigt zu berühren, und dieses Licht nimmt Gott unmittelbar und ohne Hüllen
wahr, rein wie es an sich selbst ist, und diese Wahrnehmung findet statt in der
Wirksamkeit der Hineingebärung. Da kann ich wahrlich sagen, dieses Licht hat
mehr Einheit mit Gott als mit sonst einer Kraft, mit der es doch im Wesen eins
ist. Denn ihr sollt wissen, dieses Licht ist im Wesen meiner Seele nicht höher
im Rang als die niederste oder allergewöhnlichste Kraft, die von Hunger oder
Durst, Frost oder Hitze befallen werden kann, und das kommt daher, dass das
Wesen einfach ist. Wenn man demnach die Kräfte im Wesen betrachtet, sind sie
alle eins und gleich im Rang; aber betrachtet man sie in ihren Werken, dann ist
eine viel edler und höher als die andere.
Darum
sage ich: wenn sich der Mensch von sich selbst und von allen geschaffenen Dingen
abkehrt, so weit du das tust, so weit wirst du geeint und beseligt in dem Fünklein
der Seele, das nie Zeit oder Raum berührt hat. Dieser Funke entzieht sich allen
Kreaturen und will nur Gott, wie er an sich selbst ist. Er begnügt sich nicht
mit Vater oder Sohn oder heiligem Geist, und nicht mit den drei Personen, sofern
jede für sich in ihrer Eigenschaft dasteht. Ich sage wahrlich, eben dieses
Licht begnügt sich nicht mit der Eigenhaftigkeit der fruchtbaren Beschaffenheit
der göttlichen Natur. Ich will noch mehr sagen, was noch wunderbarer lautet:
ich sage in guter Wahrheit, dieses Licht begnügt sich nicht mit dem einfachen
stillstehenden göttlichen Wesen, das weder gibt noch nimmt, sondern es will
wissen, woher dieses Wesen kommt, es will in den einfachen Grund, in die stille
Wüste, wohin nie etwas Unterschiedenes, weder Vater noch Sohn noch heiliger
Geist, gedrungen ist; in dem Innigsten, wo niemand heimisch ist, da begnügt es
sich in einem Lichte, und da ist es einiger als in sich selbst; denn dieser
Grund ist eine einfache Stille, die in sich selbst unbeweglich ist, und von
dieser Unbeweglichkeit werden bewegt und da empfangen ihr ganzes Leben alle
Dinge, die vernünftig leben und sich in sich selbst versenkt haben. Dass wir so
vernünftig leben, das walte Gott. Amen.
Nemo
potest ad me venire, nisi pater meus traxerit eum
(Joh. VI, 44). Diese Worte hat unser Herr Jesus Christus mit seinem süssen
Mund im Evangelium gesprochen, und sie bedeuten : »Niemand kann zu mir kommen,
als den mein Vater ziehet.«
Nun
sollen wir wissen, bevor unser Herr Jesus Christus geboren wurde, zog der
himmlische Vater aus aller Kraft fünftausendzweihundert Jahre lang, ohne dass
er einen einzigen Menschen ins Himmelreich ziehen konnte. Als nun der Sohn sah,
ass der Vater sich abgemüht und so kräftig gezogen und doch nichts geschafft
hatte, da sprach er zu dem Vater: »Ich will sie mit den Seilen Adams ziehen,«
gerade als ob er sagte: Ich sehe wohl, Vater, dass du mit aller deiner Kraft
nichts schaffen kannst; darum will ich mit meiner Weisheit sie an den Seilen
Adams ziehen. Daher liess der Sohn sich hernieder vom Himmelreich in den Leib
unsrer Frau und nahm da alle unsre leiblichen Gebrechen an sich, aber ohne die Sünde
und die Unvernunft, in die uns Adam geworfen hatte, und machte ein Seil aus
allen seinen Worten und seinen Werken und all seinen Gliedmassen und seinen
Adern und zog in all seiner Weisheit so sehr von Herzen, dass am nde blutiger
Schweiss aus seinem heiligen Leib herausbrach. Und als er dreiunddreissig Jahre
lang gezogen hatte, ohne etwas zu schaffen, da sah er doch schon die Bewegung
und Loslösung aller Dinge; die wollten ihm folgen. Daher sprach er: »Würde
ich an das Kreuz erhöht, so zöge ich alle Dinge zu mir.« Daher ward er ans
Kreuz gespannt und legte allen seinen Glanz und alles, was ihn am Ziehen hätte
hindern können, ab.
Nun
gibt es drei Dinge, die von Natur ziehen, und die hatte er alle bei sich am
Kreuze. Daher zog er an einem Vormittag mehr als vorher in dreiunddreissig
Jahren. Das erste Ding, das natürlich an sich zieht, ist Gleichheit, wie wir
sehen, dass der Vogel den Vogel anzieht, der ihm von Natur aus gleich ist. Mit
dieser Gottheit und Gleichheit zog er den himmlischen Vater zu sich, denn der
ist ihm gleich an Gottheit. Um ihn desto mehr an sich zu ziehen, damit er seines
Zornes vergesse, spricht er: »Herzlieber Vater, weil du die Sünde trotz all
der Opfer, die dir im alten Bunde gebracht wurden, nie vergeben wolltest, so
sage ich, mein Vater, deines Herzens eingeborener Sohn, der dir in allen Stücken
an Gottheit gleich ist, und in dem du allen Schatz göttlicher Liebe und
Reichtums geborgen hast: ich komme an das Kreuz, auf dass ich vor deinen
Vateraugen ein lebendiges Opfer werde, dass du die Augen deiner väterlichen
Barmherzigkeit senkst und mich ansiehst, deinen eingeborenen Sohn, und schau
mein Blut an, das aus meinen Wunden fliesst und lisch das feurige Schwert aus,
mit dem du, in der Hand des Engels Cherubim, den Weg zum Paradies verschlossen
hast, damit jetzt alle frei hineingehen können, die in mir ihre Sünde bereuen
und beichten und büssen.«
Das
zweite, was natürlich zieht, ist ein leerer Raum, wie wir sehen, dass das
Wasser, wenn man die Luft aus einem Rohr herauszieht, bis an den Mund hinaufläuft,
denn wenn die Luft hinausgeht, ist das Rohr leer; die Leere zieht dann das
Wasser an sich. Also machte sich unser Herr Jesus Christus leer, als er mit
seiner Weisheit alle Dinge an sich ziehen wollte, denn er liess alles Blut
ausfliessen, das in seinem Körper war, und dadurch zog er alle Barmherzigkeit
und Gnade, die im Herzen seines Vaters war, so vollständig und so reichlich an
sich, dass es für die ganze Welt genug war. Darum sprach der Vater: »Meiner
Barmherzigkeit will ich nimmer vergessen,« und sprach weiter: »Mein Sohn, nun
sei kühn und stark, denn du sollst das Volk allesamt in das Land geleiten, das
ich verheissen habe, in das Land himmlischer Freuden, das da überfliesst vom
Honig meiner ewigen Gottheit und von der Milch deines Menschtums.«
Drittens
ziehen heisse Dinge, wie wir sehen, dass die Sonne den Dampf von der Erde zum
Himmel hinaufzieht, daher ward auch unser Herr Jesus Christus am Kreuze heiss
und hitzig, denn sein Herz brannte am Kreuze wie eine Feueresse oder ein Ofen,
wo die Flamme an allen Enden hinausschlägt; so brannte er am Kreuze im Feuer
der Liebe zu aller Welt. Daher zog er auch mit der Hitze seiner Liebe alle Welt
an sich, denn sie gefiel ihm so sehr, dass niemand sich vor seiner Hitze bergen
konnte, wie Herr David im Psalter sagt. Denn nichts, was unser Herr Jesus
Christus je tat, geschah mit so grosser Liebe, wie die Marter, die er am Kreuze
erlitt, denn da gab er seine Seele für uns, und wusch unsre Sünde in seinem
teuren Blute und brachte sich zum Opfer, um dem lebendigen Gott zu dienen. Daher
zog er uns auch mit seiner Liebe am Kreuze allgewaltig an sich, so dass alle
die, denen sein Tod und seine Marter zu Herzen geht, mit ihm in Ewigkeit selig
werden. Amen.
Unser lieber Herr spricht, dass das Reich Gottes nahe bei uns ist. Ja,
das Reich Gottes ist in uns, und Sankt Paulus spricht, dass unser Heil näher
bei uns ist, als wir glauben. Nun sollt ihr wissen, wie das Reich Gottes
uns nahe ist. Hiervon müssen wir den Sinn recht achtsam merken. Denn wäre ich
ein König und wüsste es selbst nicht, so wäre ich kein König. Aber hätte
ich die feste Ueberzeugung, dass ich ein König wäre, und meinten und glaubten
das alle Menschen mit mir, so wäre ich ein König und aller Reichtum des Königs
wäre mein. So ist auch unsere Seligkeit daran gelegen, dass man das höchste
Gut, das Gott selbst ist, erkennt und weiss. Ich habe eine Kraft in meiner Seele,
die Gottes allzumal empfänglich ist. Ich bin dessen so gewiss, wie ich lebe,
dass mir kein Ding so nahe ist wie Gott. Gott ist mir näher als ich mir selber
bin, mein Wesen hängt daran, dass Gott mir nahe und gegenwärtig ist. Das ist
er ebenso einem Stein und einem Holze, aber sie wissen es nicht.
Wüsste das Holz Gott und erkennte es, wie nahe er ihm ist,
wie es der höchste Engel erkennt, das Holz wäre so selig wie der höchste
Engel. Und darum ist der Mensch seliger als ein Holz, weil er Gott erkennt und
weiss, wie nahe ihm Gott ist. Nicht davon ist er, selig, dass Gott in ihm ist
und ihm so nahe ist und dass er Gott hat, sondern davon, dass er Gott erkennt,
wie nahe er ihm ist, und dass er Gott wissend und liebend ist, und der soll
erkennen, dass Gottes Reich nahe ist.
Wenn
ich an Gottes Reich denke, dann befällt mich tiefes Schweigen, seiner Grösse
wegen; denn Gottes Reich ist Gott selbst mit all seinem Reichtum. Gottes Reich
ist kein kleines Ding: wer an alle Welten dächte, die Gott machen könnte, das
ist nicht Gottes Reich. Der Seele, in der Gottes Reich erglänzt und die Gottes
Reich erkennt, braucht man nicht predigen oder lehren, sie wird vom ihm belehrt
und des ewigen Lebens getröstet. Wer weiss und erkennt, wie nahe ihm Gottes
Reich ist, der kann mit Jakob sprechen: »Gott ist an diesem Ort und ich wüsste
es nicht.«
Gott
ist in allen Kreaturen gleich nahe. Der Weise spricht: »Gott hat seine Netze
und Stricke auf alle Kreaturen ausgeworfen, so dass man ihn in einer jeden
finden und erkennen kann, wenn man es wahrnehmen will.« Ein Meister spricht:
Der erkennt Gott recht, der ihn in gleicher Weise in allen Dingen erkennt; und
wenn einer Gott in Furcht dient, ist es gut; wenn er ihm aus Liebe dient, ist es
besser; aber wer ihn in Fürchten lieben kann, das ist das allerbeste.
Dass ein Mensch ein Leben der Ruhe oder Rast in Gott hat,
das ist gut; dass der Mensch ein Leben der Pein mit Geduld trägt, ist besser;
aber dass man in dem peinvollen Leben seine Rast habe, das ist das allerbeste.
Ein Mensch gehe auf dem Felde [und spreche sein Gebet] und erkenne Gott, oder er
sei in der Kirche und erkenne Gott: wenn er Gott darum, weil er an einem
Ruheplatz ist, eher erkennt, so kommt das von seiner Schwäche, nicht von Gott,
denn Gott ist in allen Dingen und an allen Orten gleich und ist bereit, soweit
es an ihm ist, sich überall in gleicher Weise zu geben, und der erkennte Gott
richtig, der ihn überall in gleicher Weise erkennte.
Wie
der Himmel an allen Orten gleich fern von der Erde ist, so soll auch die Seele
gleich fern sein von allen irdischen Dingen, und dem einen nicht näher sein als
dem andern, und sie soll sich gleichmütig halten in Liebe, in Leid, im Haben,
im Entbehren, in alledem soll sie zumal gestorben, gelassen und darüber erhoben
sein. Der Himmel ist rein und klar ohne alle Flecke, den Himmel berührt weder
Zeit noch Raum.
Alle körperlichen Dinge haben keinen Raum darin. Er ist
auch nicht in der Zeit, sein Umlauf ist unglaublich schnell, sein Lauf ist ohne
Zeit, aber von seinem Lauf kommt die Zeit. Nichts hindert die Seele so sehr an
der Erkenntnis Gottes als Zeit und Raum. Zeit
und Raum sind Stücke und Gott ist eins. Soll darum die Seele Gott
erkennen, so muss sie ihn über der Zeit und über dem Raum erkennen; denn Gott
ist weder dies noch das, wie diese Dinge der Mannigfaltigkeit; denn Gott ist
eins.
Soll
die Seele Gott erkennen, so darf sie mit dem Nichts keine Gemeinschaft haben.
Wer Gott sieht, der erkennt, dass alle Kreaturen nichts sind. Wenn man eine
Kreatur mit der andern vergleicht, so scheint sie schön und ist etwas; aber
wenn man sie mit Gott vergleichen will, so ist sie nichts.
Ich
sage mehr: soll die Seele Gott erkennen, so muss sie auch ihrer selbst vergessen
und muss sich selbst verlieren; denn solange sie sich selbst sieht und erkennt,
sieht und erkennt sie Gott nicht. Wenn sie sich Um Gottes willen verliert und
alle Dinge verlässt, so findet sie sich in Gott wieder, weil sie Gott erkennt,
und dann erkennt sie sich selbst und alle Dinge (von denen sie sich geschieden
hat) in Gott in Vollkommenheit. Will ich das höchste Gut und die ewige Güte
erkennen, wahrlich, so muss ich sie erkennen, wie sie gut an sich selbst ist,
nicht wie die Güte geteilt ist. Will ich das wahre Wesen erkennen, so muss ich
es erkennen, - wie das Sein an sich selbst ist, das heisst in Gott, nicht wie es
in Kreaturen geteilt ist.
In
Gott allein ist das ganze göttliche Wesen. In einem Menschen ist nicht ganzes
Menschtum, denn ein Mensch ist nicht alle Menschen. Aber in Gott erkennt die
Seele ganzes Menschtum und alle Dinge im Höchsten, denn sie erkennt sie in
ihrem Wesen. Ein Mensch, der in einem schön gemalten Hause wohnt, weiss viel
mehr davon als ein anderer, der nie hineinkam und viel davon sagen wollte. Daher
ist es mir so gewiss als ich lebe und Gott lebt: wenn die Seele Gott erkennen
will, muss sie ihn über Zeit und Raum erkennen. Und eine solche Seele erkennt
Gott und weiss, wie nahe Gottes Reich ist, das heisst Gott mit all seinem
Reichtum. Die Meister haben viel Fragens in der Schule, wie das möglich sei,
dass die Seele Gott erkennen könne? Es liegt nicht an Gottes Strenge, dass er
viel von den Menschen heischt; es liegt an seiner grossen Milde, dass er will,
dass die Seele sich weiter mache, auf dass sie viel empfangen und er ihr viel
geben könne.
Niemand
soll denken, es sei schwer hierzu zu kommen, wiewohl es schwer klingt und auch
wirklich im Anfang schwer ist, im Abscheiden und Sterben aller Dinge. Aber wenn
man hineinkommt, so ist kein Leben leichter und fröhlicher und lieblicher; denn
Gott gibt sich gar grosse Mühe, allezeit bei dem Menschen zu sein, und lehrt
ihn, damit er ihn zu sich bringt, wenn er anders ihm folgen will. Es begehrte
nie ein Mensch so sehr nach einer Sache, als Gott begehrt, den Menschen dazu zu
bringen, ihn zu erkennen. Gott ist allzeit bereit, aber wir sind sehr unbereit;
Gott ist uns nahe, aber wir sind ihm ferne; Gott ist drinnen, aber wir sind
draussen; Gott ist zu Hause, wir sind in der Fremde. Der Prophet spricht: »Gott
führt die Gerechten durch einen engen Weg in die breite Strasse, dass sie in
die Weite und in die Breite kommen, das heisst: in wahre Freiheit des Geistes,
der ein Geist mit Gott geworden ist.« Dass wir ihm alle folgen, dass er uns in
sich bringe, das walte Gott. Amen.
|