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Meister Eckhart2Erectiele disfunctie

Meister Eckhart

Predigten

01. Vom Schweigen

02. Vom Unwissen

03. Von der Dunkelheit

04. Von stetiger Freude

05. Von der Stadt der Seele

06. Vom namenlosen Gott

07. Vom innersten Grunde

 

1. Vom Schweigen

     Wir begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mich dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.

    Wir haben ein Wort des Weisen: »Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein verborgenes Wort.« Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

    »Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.« Ach, Herr, wo ist dies Schweigen und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

    Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja, in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen, und weiss kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgend welcher Kreatur.

    Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach aussen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zu stande bringen. Und ebenso ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach aussen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fliessen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: in diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne irgend ein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil.

Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften aussen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedesmal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss es notwendigerweise von aussen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt, wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiss sie so wenig, wie von sich selbst, um des Mittels willen. Und das müsset ihr auch wissen, dass sie inne frei ist, und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, um so unmittelbarer geschieht auch sein Werk und um so einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äussern Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgiessen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr.

Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam, als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.

    Wie gebiert Gott Vater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich, nein! sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gott Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst, ohne jedes Bild. Und so gebiert Gott Vater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgend ein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

    Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke, oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und in einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?

    Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, dass du schweigest und Gott allda wirken und sprechen lassest. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: »Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.« Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, um so näher bist du diesem und um so empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: »Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiss ich nicht, Gott aber weiss es wohl« - da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde - so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: zieh dich zurück von der Unruhe äusserer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äusserer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn »gut« oder »wahr« gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist, und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, um so näher bist du diesem.

    Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: Lieber Sohn Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinausschwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf dass du zu einer Erkenntnis des unbekannten übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es in Bildern zu wirken.

    Nun könntest du fragen: was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von aussen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern, und bewirkt es, dass sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiss nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen und hat doch kein Dabeibleiben, darum: die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

    Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit. Da sprach der andere Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: würde das in mir vollendet und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, dass es sich ein wenig zeigt und offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: »Herr, nimm ihnen ihren Geist, und gib ihnen dafür deinen Geist.« Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: »Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: als sie einging, da musste ich hinschwinden.« Das meinte auch Christus, als er sprach: »Wer etwas um meinetwillen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.«

    Nun könntest du sagen: Wahrlich, Herr, ihr wollt den natürlichen Lauf der Seele umkehren! Ihre Natur ist, dass sie durch die Sinne wahrnimmt und in Bildern; wollt ihr die Sache umkehren? Nein! Was weisst du, was für Rangstufen Gott in die Natur gelegt hat, die noch nicht alle beschrieben sind, ja, die noch verborgen sind? Denn die von den Stufen der Seele schrieben, waren noch nicht weiter gekommen, als ihre natürliche Vernunft sie trug; sie waren nicht auf den Grund gekommen, daher musste ihnen viel verborgen sein und blieb ihnen unbekannt. Alle Wahrheit, die die Meister je lehrten mit ihrer eigenen Vernunft und ihrem Verstand oder in Zukunft lehren bis an den jüngsten Tag, die verstanden nie das mindeste von diesem Wissen und diesem Verborgenen. Wenn es schon ein Unwissen heisst und eine Unerkanntheit, so hat es doch mehr in sich drinnen als alles Wissen und Erkennen von aussen: denn dies Unwissen des Aeussern reizt und zieht dich von allen Wissensdingen und auch von dir selbst. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer sich nicht selbst verleugnet und nicht Vater und Mutter lässt und alles was äusserlich ist, der ist meiner nicht würdig.« Als ob er spräche: Wer nicht alle Aeüsserlichkeit der Kreaturen lässt, der kann in diese göttliche Geburt weder empfangen noch geboren werden. Ja, wenn du dich deines Selbst beraubst und alles dessen, was äusserlich ist, dann findest du es in Wahrheit. Zu dieser Geburt verhelfe uns Gott, der neu geboren ist in Menschengestalt, dass wir armen Leute in ihm göttlich geboren werden, dazu verhelfe er uns ewiglich. Amen.

2. Vom Unwissen

    »Wo ist, der geboren ist als König der Juden?« - Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.    

Die ewige Geburt bringt allewege grosses Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, dass es sich ergiessen muss, wo immer es ist. In dieser Geburt ergiesst sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so gross wird im Wesen und im Grunde der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äussern Menschen überfliesst. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleisst und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wusste und verstand. »Woher weisst du das?« Merk auf. Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, dass dich alles verdriesst, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer draussen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern und nehme ihrer wahr: so werden alle Kräfte und der äussere Mensch erleuchtet. Denn sowie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr als ihm jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: »Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je lehrten.«

    Hier erhebt sich eine Frage. Da Gott Vater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen! Wozu ist das not, da in den räften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung. Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das erste in der Meinung und das letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heisst: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heisst: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach aussen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke um so weniger im stände inwendig zu wirken: denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt, und sass

vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert (er wusste nicht, dass es der Meister war) und sprach: »Sprich schnell, wie du heissest, oder ich töte dich.« Der Meister war so sehr in sich gekehrt, dass er den Feind nicht sah noch hörte, noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war um eine natürliche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich ehr sollten wir uns allen Dingen entziehen, und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt. Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.

    Es erhebt sich wieder eine Frage. Wäre es nicht angemessener, dass eine jede Kraft ihr eigenes Werk behielte, und dass keine die andre an ihren Werken hindre, und dass sie auch Gott nicht an seinen Werken hindre? In mir kann eine Art kreatürliches Wissen sein, das nichts hindert, wie Gott alle Dinge ohne Hindernis weiss, wie es bei den Seligen der Fall ist. Nun achtet auf den folgenden Unterschied. Die Seligen sehen in Gott ein Bild, und in dem Bild erkennen sie alle Dinge, ja Gott selbst sieht überhaupt nur in sich und erkennt in sich alle Dinge. Er braucht sich nicht von einem zum andern zu wenden, wie wir es müssen. Wäre es so bestellt in diesem Leben, dass wir allezeit einen Spiegel vor uns hätten, in dem wir in einem Augenblick alle Dinge in einem Bilde sähen und erkennten, so wäre uns Wirken und Wissen kein Hindernis. Da wir uns nun aber von einem zum andern wenden müssen, darum können wir uns nicht bei dem einen aufhalten ohne Hinderung des andern. Denn die Seele ist so ganz verbunden mit den Kräften, dass sie mit ihnen überall hinfliesst, wo sie hinfliessen, denn bei all den Werken, die sie wirken, muss die Seele dabei sein und zwar mit Aufmerksamkeit, sie vermöchten sonst mit all ihrem Wirken ganz und gar nichts. Fliesst sie also mit ihrer Aufmerksamkeit äusserlichen Werken zu, so muss sie notwendigerweise um so schwächer bei ihrem inneren Werke sein, denn zu dieser Geburt will und muss Gott eine ledige, unbekümmerte, freie Seele haben, in der nichts sein darf als er allein, und die auf nichts und auf niemanden warten darf als auf ihn allein. Das meinte Christus, als er sprach: »Wer etwas anderes liebt als mich, und Vater und Mutter und diesen anderen Dingen gut ist, der ist meiner nicht wert. Ich bin nicht auf die Erde gekommen, um Friede zu bringen, sondern das Schwert, auf dass ich alle Dinge abschneide, und den Bruder, das Kind, die Mutter, den Freund von dir trenne, die fürwahr deine Feinde sind.« Denn was dir lieb ist, das ist fürwahr dein Feind. Will dein Auge alle Dinge sehen und dein Ohr alle Dinge hören und dein Herz aller Dinge gedenken, so muss wahrlich von all diesen Dingen deine Seele zerstreut werden.

    Darum spricht ein Meister: Wenn der Mensch ein inwendiges Werk wirken will, so muss er all seine Kräfte in sich ziehen, wie in einen Winkel seiner Seele, und muss sich verbergen vor allen Bildern und Formen, und da kann er dann wirken. Da muss er in ein Vergessen und in ein Nichtwissen kommen. Es muss in einer Stille und in einem Schweigen sein, wo dies Wort gehört werden soll. Man kann diesem Wort mit nichts besser nahen als mit Stille und mit Schweigen: dann kann man es hören und alsdann versteht man es ganz in dem Unwissen. Wenn man nichts weiss, dann zeigt und offenbart es sich.

    Nun könntet ihr sagen: Herr, ihr setzt all unser Heil in ein Unwissen. Das klingt wie ein Mangel. Gott hat den Menschen geschaffen, dass er wisse; wo Unwissen ist, da ist Verneinung und Leere. Der Mensch ist, das muss wahr sein, ein Tier, ein Affe, ein Tor, solange er im Unwissen verharrt. Das Wissen aber soll sich formen zu einer Ueberform, und dies Unwissen soll nicht vom Nichtwissen kommen, vielmehr: vom Wissen soll man in ein Unwissen kommen. Dann sollen wir wissend werden des göttlichen Unwissens, und dann wird unser Unwissen geadelt und geziert mit dem übernatürlichen Wissen. Und hier wo wir uns empfangend verhalten, sind wir vollkommener als wenn wir wirkten. Darum sprach ein Meister, dass die Kraft des Hörens auf viel höherer Stufe stände als die Kraft des Sehens, denn man lernt mehr Weisheit mit dem Hören als mit dem Sehen und lebt hier mehr in der Weisheit. Man erzählt von einem heidnischen Meister, dass seine Jünger, als er im Sterben lag, in seiner Anwesenheit von viel Kunst und grosser Erkenntnis redeten, da hob er sein Haupt noch als Sterbender auf und hörte zu und sagte: »Fürwahr, ich möchte diese Kunst noch lernen, dass ich sie in der Ewigkeit anwenden kann.« Das Hören bringt mehr herein, aber das Sehen zeigt mehr hinaus. Und darum werden wir im ewigen Leben viel seliger sein in der Kraft des Hörens als in der Kraft des Sehens. Denn das Werk des Hörens des ewigen Wortes ist in mir, und das Werk des Sehens geht von mir, und beim Hören bin ich empfangend, und beim Sehen wirkend.

    Unsere Seligkeit aber liegt nicht an unsern Werken, vielmehr daran, dass wir Gott empfangen. Denn um so viel höher Gott steht als die Kreatur, um so viel höher steht das Werk Gottes als das meine. Ja, aus grenzenloser Liebe hat Gott unsere Seligkeit in ein Empfangen gelegt, indem wir mehr empfangen als wirken, und bei weitem mehr nehmen als geben, und jede Gabe bereitet die Empfänglichkeit für eine neue, ja für eine grössere Gabe, eine jede göttliche Gabe erweitert die Empfänglichkeit und die Begehrnis nach einer grösseren Empfängnis. Und darum sagen etliche Meister, dass darin die Seele Gott ebenmässig sei. Denn so grenzenlos Gott im Geben ist, so grenzenlos ist auch die Seele im Vernehmen oder Empfangen. Und wie Gott im Wirken allmächtig ist, so ist die Seele ein Abgrund des Nehmens, und darum wird sie

mit Gott und in Gott überformt. Gott soll wirken und die Seele soll empfangen, er soll in ihr sich selbst erkennen und lieben, sie soll erkennen mit seiner Erkenntnis und soll lieben mit seiner Liebe, und darum ist sie viel seliger vom seinen als vom ihren, und ihre Seligkeit beruht mehr in seinem Wirken als in ihrem.

    Den Sankt Dionysius fragten seine Jünger, warum sie alle von Timotheus an Vollkommenkeit überholt würden? Da sprach Dionysius: Timotheus ist ein gottempfangender Mann. Wer sich darauf recht verstünde, der überholte alle Menschen. Und so ist dein Unwissen nicht ein Mangel, sondern deine oberste Vollkommenheit, und dein Nichttun ist so dein oberstes Werk. Und so in dieser Weise musst du alle deine Werke abtun und all deine Kräfte zum Schweigen bringen, wenn du in Wahrheit diese Geburt in dir erleben willst. Willst du den geborenen König finden, so musst du alles, was du sonst vielleicht findest, überholen und zu Boden werfen. Dass wir das alles überholen und verlieren, was diesem geborenen König nicht wohlgefällt, dazu verhelfe uns der, der darum zum Menschenkind geworden ist, damit wir Gotteskind werden. Amen.

3. Von der Dunkelheit

   Man liest im Evangelium, als unser Herr zwölf Jahre alt war, da ging er mit Maria und Joseph nach Jerusalem in den Tempel, und als sie von dannen gingen, da blieb Jesus im Tempel, ohne dass sie es wussten, und als sie nach Hause kamen und ihn vermissten, suchten sie ihn unter den Bekannten und Unbekannten und unter den Verwandten und in der Menge und fanden ihn nirgends, sie hatten ihn in der Menge verloren und mussten daher wieder hingehen, von wo sie gekommen waren, und als sie wieder an den Anfang kamen, in den Tempel, da fanden sie ihn.

    So ist es in Wahrheit; willst du diese edle Geburt finden, so musst du alle Menge verlassen und musst zum Anfang zurückkehren und in den Urgrund, von dem du ausgegangen bist. Alle Kräfte der Seele und ihr Werk sind bloss Menge; Gedächtnis, Verstand und Wille vermannigfaltigen sich alle, darum musst du sie alle lassen: Sinnlichkeit, Vorstellungen und alles, worin du dich selbst findest oder suchst. Dann kannst du diese Geburt finden, aber sonst wahrlich nicht. Er ward nie unter Freunden oder Verwandten und Bekannten gefunden, vielmehr verliert man ihn da völlig.

    Darum haben wir eine Frage hierüber: ob der Mensch diese Geburt etwa finden könne in etlichen Dingen, die zwar göttlich sind, aber von aussen hineingetragen durch die Sinne, wie einige Vorstellungen von Gott, zum Beispiel, dass Gott gut, weise, barmherzig oder etwas dergleichen ist, was die Vernunft schöpfen kann und was auch göttlich ist: ob man in all diesem diese Geburt etwa finden könne? In Wahrheit, nein! Obwohl das alles gut und göttlich ist, ist es doch alles von aussen durch die Sinne hineingetragen worden: es muss alles von innen auf von Gott herausquellen, wenn diese Geburt eigen und rein hineinleuchten soll, und all dein Werk muss sich hinlegen und all deine Kräfte müssen den seinen dienen und nicht den deinen. Soll dies Werk vollkommen sein, so muss es Gott allein wirken, und du darfst es allein

empfangen. Wo du mit deinem Willen und deinem Wissen wahrhaft ausgehst, da gellt Gott wahrhaft und willig mit seinem Wissen ein und leuchtet da in Klarheit. Wo sich Gott aber wissen will, da kann dein Wissen nicht bestehen und zu nichts dienen. Du brauchst nicht zu wähnen, deine Vernunft könne noch so wachsen, dass du Gott erkennen könntest, sondern wenn Gott in dir göttlich leuchten soll, dazu fördert dich ein natürliches Licht keineswegs, es muss vielmehr zu lauter Nichts werden und völlig ausgehen; und dann kann Gott mit seinem Licht hineinleuchten und bringt all das mit sich, das dir allsgegangen ist, und tausendfach mehr, und eine neue Form dazu, die alles in sich schliesst.

    Nun könntest du sagen: »Wahrlich, Herr, was soll dann meine Vernunft, wenn sie so untätig stehn muss ohne alles Wirken? Ist das der nächste Weg, dass ich mein Bewusstsein zu einer unerkannten Erkenntnis erhebe, die es doch nicht geben kann? Denn erkennte ich etwas, so wäre es nicht Unerkanntheit und wäre nicht frei und losgelöst: soll ich denn ganz und gar in Dunkelheit stehen?« Ja gewiss, du wirst nie besser stehn können als wenn du dich völlig in Dunkelheit und Unwissen setzest. »Ach, Herr, muss ich alles abtun, lässt sich das gar nicht wenden?« Nein, wahrhaftig, das lässt sich wirklich nicht wenden. »Was ist aber diese Dunkelheit, wie heisst sie oder wie ist ihr Name?« Ihr Name ist lediglich: Möglichkeit des Empfangens, das der seienden Dinge nicht bedürftig ist und dahin sollst du gebracht werden. Und das lässt sich nicht ändern. Wie die Materie nicht ruhet, bis sie mit allen Formen erfüllt ist, so ruht auch die Vernunft nimmer, bis sie erfüllt ist mit allem, was in ihr möglich ist.

    Es spricht ein heidnischer Meister: Die Natur hat nichts, was rascher wäre als der Himmel, der überrascht alle Dinge mit seinem Lauf. Aber sicherlich! des Menschen Bewusstsein überrascht ihn noch mit seinem Lauf. Bliebe es in seinem Vermögen wirksam und hielte es sich unverhöhnt und unzerrissen von niedern und groben Dingen, es flöge höher als der höchste Himmel und liesse nimmer ab, es käme in das Allerhöchste und würde da gespeist und geführt von dem allerbesten Gut, das Gott ist.

    Und darum ist es nützlich, dieser Möglichkeit nachzufolgen, und sich frei und losgelöst zu halten, und allein dieser Dunkelheit und diesem Unwissen nachzufolgen und nachzuhängen und nachzuspüren und nicht davon abzulassen, so ist es dir wohl möglich, den zu erreichen, der alle Dinge ist. Und je mehr in dir selbst Wüste ist und Unwissenheit aller Dinge, je näher kommst du diesem. Von dieser Wüste steht bei Jeremias geschrieben: »Ich will meine Freundin in die Wüste führen und in ihrem Herzen mit ihr sprechen.« Das wahre Wort der Ewigkeit wird allein in der Ewigkeit ausgesprochen, wo der Mensch Wüste ist und seiner selbst und aller Mannigfaltigkeit entfremdet. Nach dieser Wüste und Fremde begehrte der Prophet, als er sprach: »Ach, wer gibt mir Flügel wie die Taube hat, auf dass ich fliegen könnte, wo ich Ruhe finde?« Wo findet man Ruhe und Rast? Wahrlich, da wo man aller kreatürlichen Dinge entworfen und entwüstet und entfremdet ist. In diesem Sinne sagt David: »Ich erwählte lieber, verworfen und verschmäht zu sein im Haus meines Gottes, als grosse Ehren und Reichtum zu haben in der Taberne der Sünder.«

    Nun könntest du sagen: »Fürwahr, Herr, muss das immer und notwendig so sein, dass man aller Dinge entfremdet und zerwüstet ist, äusserlich und innerlich, der Kräfte und ihrer Werke, muss das alles hinab? Das ist ein schwerer Stand, wenn Gott den Menschen so ohne seinen Aufenthalt lässt, wenn Gott der Menschen Verlassenheit so dehnt, dass er nicht in ihm ist, leuchtend oder zusprechend oder wirkend, wie Ihr hier lehret und meinet. Wenn der Mensch so in lauter Nichts steht, ist es dann nicht besser, dass er etwas tue, um diese Dunkelheit und Entfremdung zu vertreiben, zum Beispiel, dass er bete oder lese oder eine Predigt höre oder andere Werke tue, was doch Tugenden sind, mit denen man sich helfen soll?« Nein, das sollst du in Wahrheit wissen: ganz und sehr stille und ganz und gar leer zu verharren ist dein allerbestes.

Das merke. Ohne Schaden kannst du dich nicht wieder irgend zu Dingen wenden. Das ist sicher: du wärest gern bereit, ein Teil von dir und ein Teil von ihm, das aber kann nicht sein. Du kannst des Bereitseins nicht einmal denken oder begehren, wenn nicht Gott vorher, da ist. Gesetzt aber, es sei geteilt, das Bereitsein und das Wirken oder Eingiessen sei dein und sein, was ja möglich ist, so musst du wissen, dass Gott wirken und eingiessen muss, sobald er dich bereit findet. Du darfst nicht wähnen, es sei mit Gott wie mit der Person eines Zimmermanns, der wirkt und nicht wirkt wie er will, es steht in seinem Willen, wie er Lust hat zu tun und zu lassen. So steht es aber nicht um Gott: sondern wenn Gott dich bereit findet, so muss er wirken und sich in dich ergiessen, ebenso wie wenn die Luft lauter und rein ist, die Sonne sich ergiessen muss und sich dessen nicht enthalten kann. Fürwahr, es wäre ein arg grosser Fehler an Gott, wenn er nicht grosse Werke in dich wirkte und grosses Gut in dich gösse, sowie er dich frei und entblösst findet.

    Es lehren uns die Meister, dass in demselben Moment, wo die Materie des Kindes im Mutterleib bereit ist, in demselben Augenblick giesst Gott in den Leib den lebendigen Geist, das heisst die Seele, die des Leibes Form ist. Es ist ein Augenblick bereit zu sein und einzugiessen. Wenn die Natur auf ihr Höchstes kommt, so tritt Gottes Gnade ein: in demselben Moment, wo der Geist bereit ist, geht Gott hinein ohne Aufschub und ohne Zögern. Im Buch der Geheimnisse steht geschrieben, dass unser Herr dem Volke entbot: »Ich stehe vor der Tür und klopfe und warte, wer mich einlässt, mit dem will ich schmausen.« Du brauchst ihn nicht zu suchen, nicht da und nicht dort: er ist nicht entfernter als vor der Türe des Herzens, da steht er und harrt und wartet, wen er bereit findet, der ihm auftue und ihn einlasse. Du brauchst ihn nicht in der Ferne zu rufen: ihn kommt das Warten, bis du auftust, härter an als dich. Er bedarf deiner tausendmal mehr als du seiner: das Auftun und das Hineingehen ist nur ein Moment.

    Nun könntest du fragen: Wie kann das sein? Ich empfinde ihn doch nicht. Nun pass auf. Das Empfinden ist nicht in deiner Gewalt, sondern in seiner. So es ihm ansteht, so zeigt er sich, und kann sich verbergen, so er will. Das musst du wissen: Gott kann nichts leer oder hohl lassen; dass irgend das geringste leer oder hohl sei, das kann der Naturgott nicht leiden. Darum, wenn es dich dünkt, du fändest ihn nicht und er sei nicht in dir, dem ist nicht so. Denn wäre irgend etwas leer unterm Himmel, es wäre was es wollte, gross oder klein, so zöge es entweder der Himmel zu sich hinauf, oder er müsste sich herniederneigen und den Himmel hineingiessen. Gott, der Meister der Natur, leidet es durchaus nicht, dass irgend etwas leer sei. Darum steh still und wanke nicht, denn du kannst dich zur Stunde von Gott abwenden und kommst dann nimmermehr zu ihm.

    Du könntest fragen: Soll der Mensch sich kasteien, und versäumt er etwas, wenn er sich nicht in der Busse übt? Höre. Alles Bussleben ist neben andern Ursachen darum erfunden, sei es nun Fasten, Wachen, Beten, Geisseln, härene Hemden tragen, hart liegen oder was sonst immer, das ist alles darum erdacht, weil der Leib und das Fleisch sich allezeit dem Geist entgegengestellt. Der Leib ist ihm viel zu stark, ein richtiger Kampf ist immerzu unter ihnen, ein ewiger Streit. Der Leib ist hier kühn und stark, denn er ist hier zu Hause, die Welt hilft ihm, die Erde ist sein Vaterland, ihm helfen hier alle seine Verwandten: die Speise, der Trank, die Schönheit: das ist alles gegen den Geist. Der Geist ist hier fremd, aber im Himmel sind alle seine Verwandten und sein ganzes Geschlecht: da ist er gar heimisch. Um dem Geist zu Hilfe zu kommen in dieser Fremde und das Fleisch etwas zu schwächen in diesem Streit, damit der Leib den Geist nicht überwindet, darum tut man ihn den Zaum der Bussübungen an und darum bedrückt man ihn, damit der Geist sich seiner erwehren könne. Da man ihm das tut, damit er ein Gefangener sei, so lege ihm, wenn du ihn tausendmal besser fangen und beladen willst, den Zaum der Liebe an. Mit der Liebe überwindest du ihn am allerschnellsten und mit der Liebe belädst du ihn am stärksten. Und darum stellt uns Gott mit keinen Dingen so sehr nach, wie mit der Liebe. Denn mit der Liebe geht es just ebenso, wie mit der Angel des Fischers. Der Fischer kann den Fisch nicht erhalten, wenn der sich nicht an der Angel fängt. Wenn er nach der Angel schnappt, dann ist der Fischer seiner sicher: wohin sich der Fisch dann wendet, hin oder her, der Fischer hat ihn ganz sicher. So spreche ich auch von der Liebe: wer von ihr gefangen wird, der hat das allerstärkste Band und doch eine süsse Bürde. Wer diese süsse Bürde auf sich genommen hat, der erreicht damit mehr und kommt weiter damit als mit all der Busse und Strenge, die je Menschen üben könnten. Er kann auch sanft und geduldig alles tragen und leiden, was ihn trifft und was Gott über ihn verhängt. Nichts macht dich Gott so eigen, und durch nichts wird Gott dir so eigen als durch dieses süsse Band. Wer diesen Weg gefunden hat, der suche keinen andern. Wer an dieser Angel haftet, der ist so gefangen, dass der Fuss und die Hand, der Mund, die Augen, das Herz und alles was am Menschen ist, das muss alles Gott zu eigen sein. Und darum kannst du diesen Feind niemals besser überwinden, dass er dir nicht schade, als mit der Liebe. Wer in diesem Stricke gefangen ist und in diesem Wege wandelt, welch Werk er immer wirke, das wirkt die Liebe. Seine Ruhe ist besser als eines andern Wirken. Darum warte allein auf diese Angel, so wirst du selig gefangen, und je mehr gefangen desto mehr befreit. Dass wir so gefangen und befreit werden, dazu verhelfe uns der, der selber die Liebe ist. Amen.

 4. Von stetiger Freude

     Die Seele hat etwas in sich, ein Fünklein der Vernüftigkeit, das nimmer erlischt, und in dies Fünklein versetzt man das Bild der Seele als in das oberste Teil des Bewusstseins; und es ist auch ein Erkennen in unsern Seelen, das äussern Dingen achgeht, nämlich das sinnliche und Verstandeserkennen, das in Gleichnissen und in der Sprache vor sich geht, das verbirgt uns dies. Wie sind wir Söhne Gottes? Das ist, dass wir ein Wesen haben mit ihm. Doch was wir darunter verstehen, dass wir Söhne Gottes sind, das ist zu verstehen von dem äussern Verstehen und von dem innern Verstehen. Das innere Erkennen ist, was sich vernünftig fundieret auf das Wesen unserer Seele. Doch ist es nicht das Wesen der Seele, es ist vielmehr darein gewurzelt und ist etwas vom Leben der Seele. Wir sagen, dass das Verstehen etwas Lebendes der Seele sei, das heisst vernünftiges Leben, und in diesem Leben wird der Mensch geboren zu Gottes Sohn und zu dem ewigen Leben, und dies Erkennen ist ohne Zeit, ohne Raum, und ohne Hier und ohne Jetzt. In diesem Leben sind alle Dinge eins und alle Dinge gemeinsam, alle Dinge alles in allem und allem geeinigt.

    Gott macht, dass wir ihn selbst erkennen, und sein Wesen ist sein Erkennen, und es ist dasselbe, dass er mich erkennend macht, und dass ich erkenne, und darum ist sein Erkennen mein: wie das, was der Meister lehrt und der Schüler gelehrt wird, ein und dasselbe ist. Und wenn also sein Erkennen mein ist, und wenn seine Substanz sein Erkennen ist und seine Natur und sein Wesen, so folgt daraus, dass sein Wesen und seine Substanz und seine Natur mein ist. Und wenn also seine Substanz, sein Wesen und seine Natur mein ist, so bin ich der Sohn Gottes. Seht, Brüder, welche Liebe uns Gott geschenkt hat, dass wir Sohn Gottes heissen und sein eigen.

    Merkt, wie wir Söhne Gottes werden: wenn wir dasselbe Wesen haben, das der Sohn hat. Wie ist man der Sohn Gottes oder wie weiss man es, wenn Gott niemandem gleich ist? Das ist wahr. Wenn es also Gottes Natur ist, dass er niemandem gleich ist, so ist es notwendig, dass wir dazu kommen, dass wir nichts sind, auf dass wir in dasselbe Wesen gesetzt werden können, das er selbst ist. Daher kann ich, wenn ich dazu komme, dass ich mich in Nichts umbilde und Nichts in mich umbilde, und hinaustrage und hinauswerfe, was in mir ist, in das reine Wesen des Geistes versetzt werden. Da muss alles ausgetrieben werden, was Gleichnis ist, dass ich in Gott verwandelt werde und eins mit ihm werde und eine Substanz und ein Wesen und eine Natur und der Sohn Gottes. Und wenn das geschehen ist, dann ist nichts in Gott verborgen, was nicht offenbar wird und was nicht mein wird. Denn dann werde ich weise und mächtig und ganz wie er und ein und dasselbe mit ihm. Dann wird Zion ein Wahrsehender, ein wahrer Israel, das heisst ein sehender Mann: Gott, denn ihm ist nichts verborgen in der Gottheit. Da wird der Mensch in Gott geführt. Aber damit mir nichts verborgen bleibe und alles offenbar werde, darf in mir kein Gleichnis und kein Bild mehr vorhanden sein, denn kein Bild kann uns die Gottheit oder sein Wesen öffnen. Bliebe irgend ein Bild in dir oder irgend ein Gleichnis, so würdest du nimmer eins mit Gott. Damit du also mit Gott eins seist, darf nichts in dir eingebildet oder ausgebildet sein, das heisst, alles was in dir verborgen ist, muss offen und hinausgeworfen werden.

    Es gibt zweierlei Geburt der Menschen: eine in der Welt und eine aus der Welt, das heisst geistig in Gott. Willst du wissen, ob dein Kind geboren werde und ob es entledigt sei, das heisst, ob du zu Gottes Sohn gemacht seist: solange du Leid in deinem Herzen hast um irgend ein Ding [es sei denn um Sünde], solange ist dein Kind nicht geboren. Hast du Herzeleid, so bist du nicht Mutter, du bist vielmehr in der Gebarung und nahe der Geburt. Daran darfst du nicht zweifeln, wenn du traurig bist um dich oder um deinen Freund, so ist es nicht geboren, es ist aber nahe an der Geburt. Aber dann ist es vollkommen geboren, wenn der Mensch von Herzen kein Leid empfindet um irgend ein Ding: dann hat der Mensch das Wesen und die Natur und die Substanz und die Weisheit und die Freude und alles was Gott hat, dann wird dieses Wesen des Sohnes Gottes unser und in uns, und wir kommen in dieses Wesen Gottes.

    Christus sagt: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und hebe sein Kreuz auf und folge mir.« Das heisst: Wirf alles Herzeleid hinaus, auf dass in deinem Herzen nichts als stetige Freude sei. Dann ist das Kind geboren. Wenn dieses Kind in mir geboren ist, sähe ich gleich meinen Vater und alle meine Freunde vor meinen Augen tot, mein Herz wäre darum nicht bewegt. Aber würde mein Herz von diesem bewegt, so wäre das Kind in mir nicht geboren, aber vielleicht wäre es nahe der Geburt. Ich sage, Gott und die Engel haben so grosse Freude über jedes Werk eines guten Menschen, dass dem keine Freude zu vergleichen ist. Darum sage ich: wenn das Kind in dir geboren wird, so hast du so grosse Freude über jedes gute Werk, das in dieser Welt geschieht, dass deine Freude die allergrösste Stetigkeit wird, so dass sie sich nicht ändert. Und bin ich ganz in das göttliche Wesen verwandelt, so wird Gott mein und alles was er hat. Dann habe ich rechte Freude, die nicht Leid noch Pein von mir nehmen kann, denn dann bin ich in das göttliche Wesen versetzt, wo kein Leiden Platz hat. Wenn du also dazu kommst, dass du um nichts mehr Leid noch Kummer trägst und dass dir alles eine reine Freude ist, dann ist das Kind in Wahrheit geboren. Dass uns dies widerfahre, das walte Gott. Amen.

 5. Von der Stadt der Seele

     Intravit Jesus in quoddam castellum et mulier qaedam excepit illum etc. (Luc. X, 38). Ich habe eben ein Wörtlein auf lateinisch gesprochen, das im Evangelium steht und auf deutsch also heisst: »Unser Herr Jesus Christus ging in ein Städtchen und ward von einer Jungfrau empfangen, die ein Weib war.«

    Fürwahr, achtet nun aufmerksam dieses Worts. Es muss notwendig so sein, dass der Mensch, von dem Jesus empfangen ward, eine Jungfrau war. Jungfrau heisst soviel, wie ein Mensch, der aller fremden Bilder ledig ist, so ledig wie er war als er nicht war. Seht, nun könnte man fragen: Der Mensch, der geboren und zu vernünftigem Leben vorgeschritten ist, wie kann der so frei von allen Bildern sein, wie damals als er nicht war, da er doch viel weiss, und das sind alles Bilder: wie kann er dann frei sein?

    Nun achtet auf die Unterscheidung, auf die ich euch hinweisen will. Wäre ich so vernünftig, dass alle Bilder, die je Menschen empfangen haben, und die in Gott selbst sind, vernünftig in mir stünden, und zwar, dass ich sie, im Tun und im Lassen, ohne Eigenschaft begriffen hätte, ohne Vor und ohne Nach, dass sie vielmehr in diesem gegenwärtigen Nil frei und ledig nach dem liebsten Willen Gottes stünden, um dem ohne Unterlass nachzukommen, dann wäre ich in Wahrheit Jungfrau, unbehindert von allen Bildern, und wahrlich so wie ich war als ich nicht war. Wie die Meister sagen, dass gleich und gleich allein eine Sache der Einheit sei, so muss auch der Mensch keusch sein und Jungfrau, der den keuschen Jesus empfangen will.

    Ich sage ferner, dass eine Kraft in der Seele ist, die nicht Zeit noch Fleisch berührt, sie fliesst aus dem Geiste und bleibt in dem Geiste und ist ganz geistig. In dieser Kraft ist Gott allzumal grünend und blühend in aller Freude und in aller Ehre, wie er in sich selber ist. Da ist so herzliche Freude und so unbegreiflich grosse Freude, dass niemand genug davon sagen kann. Denn der ewige Vater gebiert seinen ewigen Sohn in dieser Kraft ohne Unterlass, so dass diese Kraft den Sohn des Vaters mitgebären hilft und sich selber denselben Sohn in der einigen Kraft des Vaters.

Und hätte ein Mensch ein ganzes Königreich oder allen Reichtum der Erde, und liesse das rein um Gottes willen und würde einer der ärmsten Menschen, der je auf Erden lebte, und gäbe ihm dann Gott so viel zu leiden, als er je Menschen auferlegt hat, und litte er alles dies bis an seinen Tod, und gäbe ihm dann Gott einen Augenblick zu schallen, wie er in dieser Kraft ist: seine Freude würde so gross, dass all dies Leiden und diese Armut dann noch zu klein wäre. Ja, gäbe ihm Gott gar hernach kein Himmelreich mehr, er hätte dann doch noch zu grossen Lohn empfangen für alles, was er je gelitten: denn Gott ist in dieser Kraft wie in dem ewigen Nu. Wäre der Geist allezeit mit Gott in dieser Kraft vereint, der Mensch könnte nicht altern. Denn das Nu, worin Gott den ersten Menschen machte, und das Nu, worin der letzte Mensch vergehen soll, und das Nu, worin ich spreche, die sind gleich in Gott, und es ist nichts als ein Nu. Nun seht, dieser Mensch wohnt in einem Licht mit Gott, darum ist in ihm weder Empfangen noch Nachfolgten, sondern eine gleiche Ewigkeit. Diesem Menschen ist in Wahrheit gar viel abgenommen und alle Dinge stehen wesenhaft in ihm. Darum empfängt er nichts Neues von künftigen Dingen und von keinem Zufall, denn er wohnt in einem Nu, allezeit neu grünend und ohne Unterlass. Solche göttliche Herrlichkeit ist in dieser Kraft.

    Noch eine Kraft gibt es, die auch unkörperlich ist: sie fliesst aus dem Geiste und bleibt im Geiste und ist ganz geistig. In dieser Kraft ist Gott ohne Unterlass glimmend und brennend mit all seinem Reichtum, mit all seiner Süssigkeit und mit all seiner Wonne. Wahrlich, in dieser Kraft ist so grosse Freude und so grosse masslose Wonne, dass niemand wahr genug davon sprechen und künden kann. Ich sage aber, gäbe es einen einzigen Menschen, der hierin einen Augenblick in Wahrheit und vernünftig die Wonne und die Freude schaute: alles was er leiden könnte und was Gott von ihm gelitten haben wollte, das wäre ihm alles wenig und sogar nichtig, ja ich sage: es wäre ihm zumal eine Freude und eine Wohltat.

    Ich habe manchmal gesagt, es sei eine Kraft im Geiste, die allein frei sei. Zu Zeiten habe ich gesagt, es sei eine Hütte des Geistes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Licht des Geistes; zu Zeiten habe ich gesagt, es sei ein Fünklein. Ich sage aber jetzt: es ist weder dies noch das. Es ist überhaupt kein Etwas; es ist höher über dies und das als der Himmel über der Erde. Darum nenne ich es jetzt in einer edleren Weise als ich es früher nannte, und doch geht es über Edelkeit und Gradunterschiede und Weisen hinaus und ist darüber erhoben. Es ist von allen Namen frei und von allen Formen ganz los, ledig und frei, wie Gott in sich selbst ledig und frei ist. Es ist so ganz eins und einfach, wie Gott eins und einfach ist, dass man auf keine Weise es anschaulich machen kann. Dieselbe Kraft, von der ich gesprochen habe, in der ist Gott blühend und grünend mit all seiner Gottheit und der Geist in Gott, in derselben Kraft, worin der Vater seinen eingeborenen Sohn gebiert, wahrlich wie in sich selber, und der Geist gebiert mit dem Vater denselben Sohn und sich selber, und ist derselbe Sohn in diesem Licht, und ist die Wahrheit. Könntet ihr mit meinem Herzen zuhören, ihr verstündet wohl, was ich spreche, denn es ist wahr, und die Wahrheit spricht es selbst.

    Seht, nun passt auf, so eins und einfach ist diese Stadt in der Seele, von der ich euch spreche, und die ich meine, und über alle Weise erhaben, dass die edle Kraft, von der ich gesprochen habe, nicht würdig ist, jemals einen Augenblick ineinzublicken, und ebenso die andere Kraft, worin Gott glimmt und brennt, die darf auch niemals hineinblicken, so gar eins und einfach ist diese Stadt, und so über aller Weise und allen Kräften ist dies einig Eine, dass ihm niemals Kraft oder Weise zuschauen kann, ja nicht einmal Gott selbst. Mit guter Wahrheit! und so wahr Gott lebt, Gott selbst schaut niemals einen Augenblick hinein und hat nie hineingesehen, insfern er sich darstellt in einer Weise und in der Eigenschaft seiner Personen.

Dies ist gut zu verstehen, denn dies einig Eine ist ohne Weise und ohne Eigenschaft. Und wenn daher Gott jemals hineinblicken soll, so muss es ihn alle seine göttlichen Namen und seine persönliche Eigenschaft kosten: das muss er alles vorher lassen, wenn er je hineinblicken soll. Wie er einfach eins ist, ohne alle Weise und Eigenschaft: da ist er nicht Vater und nicht Sohn und nicht heiliger Geist in diesem Sinne, und ist doch ein Etwas, das nicht dies und nicht das ist.

    Seht, so wie er eins ist und einfach, so kommt er in das Eine, das ich eine Stadt in der Seele heisse, und sonst kommt er auf keine Weise hinein: sondern so kommt er hinein und ist darin. In diesem Stück ist die Seele Gott gleich und auf keine andere Weise. Was ich euch gesagt habe, ist wahr: dafür stelle ich euch die Wahrheit als Zeugen und meine Seele als Pfand. Dass wir eine solche Stadt seien, in der Jesus eingeht und empfangen werde und ewig in uns bleibe in der Weise, wie ich gesagt habe, das walte Gott. Amen.

 6. Vom namenlosen Gott

    Unser Herr sprach: »Frau, die Zeit wird kommen und ist schon jetzt, wo die wahren Anbeter den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten, und solche suchet der Vater.«

    Nun achtet auf das erste Wörtlein, wo er spricht: »Die Zeit wird kommen und ist schon jetzt.« Wer da den Vater anbeten will, der muss sich in die Ewigkeit versetzen mit seinem Begehren und mit seiner Zuversicht. Es gibt einen obersten Teil der Seele, der steht über der Zeit und weiss nichts von der Zeit noch vom Leibe. Alles was je geschah vor tausend Jahren, der Tag, der vor tausend Jahren war, der ist in der Ewigkeit nicht ferner, als diese Stunde, wo ich jetzt stehe, und der Tag, der nach tausend Jahren kommen wird oder soweit du zählen kannst, der ist in der Ewigkeit nicht ferner als diese Stunde, worin ich jetzt stehe.

    Nun spricht er: »Die beten an den Vater.« Ach, wie viele gibt es, die beten die Kreatur an und kümmern sich darum, und das sind gar törichte Leute. Sobald

du Gott anbetest um der Kreatur willen, so bittest du um deinen eigenen Schaden, denn sobald die Kreatur Kreatur ist, trägt sie Bitterkeit und Schaden und Uebel und Ungemach in sich. Und darum geschieht den Leuten ganz recht, die Ungemach und Bitterkeit davon haben. Warum? Sie haben darum gebeten.

    Alle Dinge, die in der Zeit sind, haben ein Warum. Wie der, der einen Menschen fragte: »Warum issest du?« »Damit ich Kraft habe.« »Warum schläfst du?« »Aus demselben Grunde.« Und so sind alle Dinge, die in der Zeit sind. Aber wer einen guten Menschen fragte: »Warum liebst du Gott?« »Ich weiss nicht, um Gottes willen.« »Warum liebst du die Wahrheit?« »Um der Wahrheit willen.« »Warum liebst du die Gerechtigkeit?« »Um der Gerechtigkeit willen.« »Warum liebst du die Güte?« »Um der Güte willen.« »Warum lebst du?« »Wahrlich, ich weiss nicht! Ich lebe gerne.«

    Die Meister sagen, die Seele habe zwei Gesichter, und das obere Gesicht schauet allezeit Gott, und das niedere Gesicht blickt etwas herab und das berichtet die Sinne, und das oberste Gesicht ist das oberste der Seele, das steht in der Ewigkeit und hat nichts mit der Zeit zu schaffen und weiss nichts von der Zeit und vom Leibe. Und ich habe manchmal gesagt, dass darin etwas verborgen liege wie ein Ursprung alles Guten und wie ein leuchtendes Licht, das allezeit leuchtet, und wie ein brennender Brand, der allezeit brennt, [und der Brand ist nichts anderes als der heilige Geist.

    Die Meister sagen, aus dem obersten Teil der Seele, fliessen zwei Kräfte. Die eine heisst Wille, die andere Vernunft, und die Vollkommenheit der Kräfte liegt in der obersten Kraft, die da Vernunft heisst. Die kann nimmer ruhen. Sie will nicht Gott wie er der heilige Geist ist und wie er der Sohn ist, und fliehet den Sohn. Sie will auch nicht Gott wie er Gott ist. Warum? Da hat er Namen, und wären tausend Götter, sie bricht sich immer mehr Bahn, sie will ihn da, wo er keine Namen hat: sie will etwas Edleres, etwas Besseres als Gott, wie er Namen hat. Was will sie denn? Sie weiss nicht: sie will ihn, wie er Vater ist. Sie will ihn, wie er ein Grund ist, aus dem Güte entspringt; sie will ihn, wie er ein Kern ist, aus dem Güte fliesst; sie will ihn wie er eine Wurzel ist, eine Ader, in der Güte entspringt, und da ist er allein Vater. Nun spricht unser Herr: »Es erkennet niemand den Vater als der Sohn, und den Sohn niemand als der Vater.« In Wahrheit, wenn wir den Vater erkennen wollen, so müssen wir Sohn sein. Ich habe einmal drei böse Wörtlein gesprochen, die mögt ihr als drei böse Gewürze aufnehmen, auf die ihr trinken müsst. Zum ersten, wollen wir Sohn sein, so müssen wir einen Vater haben. Denn des Sohnes Leben hängt an dem Vater, und des Vaters Leben hängt an dem Sohn, und darum kann niemand sagen: ich bin Sohn, wenn er keinen Vater hat, und der Mensch ist in Wahrheit Sohn, der da alle seine Werke aus Liebe wirkt. - Das weite, was den Menschen allermeist zum Sohn macht, das ist Gleichmut. Ist er krank, so sei er ebenso gern krank wie gesund, gesund wie krank. Stirbt ihm ein Freund, in Gottes Namen; wird ihm ein Auge ausgeschlagen, in Gottes Namen. - Das dritte, was ein Sohn haben soll, das ist, dass er sein Antlitz nach nichts mehr wendet als nur nach dem Vater. O, wie edel ist die Kraft, die da über der Zeit steht und die da ohne Raum steht! Denn damit, dass sie über der Zeit steht, hat sie alle Zeit in sich geschlossen und ist alle Zeit, und wie wenig einer auch von dem hätte, was über der Zeit steht, der wäre gar bald reich geworden, denn was jenseits des Meeres ist, ist der Kraft nicht ferner als was jetzt gegenwärtig ist. Und von denen spricht er »Solche suchet der Vater.«

    Seht, so liebkost uns Gott, so flehet uns Gott an und Gott kann nicht warten, bis sich die Seele geschmückt und von der Kreatur zornig entfernt hat, und es ist eine sichere und eine notwendige Wahrheit, dass es Gott so not tut, uns zu suchen, als ob all seine Gottheit daran hange, wie es auch der Fall ist. Und Gott kann unser so wenig entbehren, wie wir seiner, und könnte es auch sein, dass wir uns von Gott abwenden könnten, so könnte sich doch Gott nimmer von uns abwenden. Ich sage, ich will Gott nicht bitten, dass er mir gebe, ich will ihn auch nicht loben für das, was er mir gegeben hat, sondern ich will ihn bitten, dass er mich würdig mache zu empfangen, und will ihn loben, dass er die Natur und das Wesen hat, dass er geben muss. Wer das Gott nehmen wollte, der nähme ihm sein eigenes Wesen und sein eigenes Leben. Dass wir so in Wahrheit Sohn werden, dazu verhelfe uns die Wahrheit, von der ich gesprochen habe. Amen.

 7. Vom innersten Grunde

    Es spricht ein Meister: »Gott ist ein Mensch geworden, davon ist das ganze Menschengeschlecht erhöht und geehrt. Darüber können wir uns wohl freu-

en, dass Christus, unser Bruder, aus eigener Kraft über alle Chöre der Engel gefahren ist und zur rechten Hand des Vaters sitzt.« Dieser Meister hat recht gut gesprochen; aber wahrlich, ich mache mir nicht viel daraus. Was hülfe es mich, wenn ich einen Bruder hätte, der ein reicher Mann wäre und ich ein armer, er weise und ich ein Tor? Ich spreche etwas anderes und dringenderes: Gott ist nicht allein Mensch geworden, sondern er hat menschliche Natur angenommen.

    Es sagen die Meister gewöhnlich, alle Menschen seien gleich edel von Natur. Aber ich sage wahrhaftig:alles Gute, was alle Heiligen besessen haben, und Maria die Gottesmutter, und Christus gemäss seines Menschtums, das ist mein eigen in dieser Natur. Wo der Vater seinen Sohn im Innersten Grunde gebiert, da hat diese Natur ein Hineinschweben. Diese selbe Natur ist eins und einfach. Hier kann wohl etwas herausschauen und herzuhängen, das ist das eine Nichts.

    Ich spreche von einem anderen und von einem schwereren. Wer in der Nacktheit dieser Natur ohne Mittel dastehn soll, der muss aus aller Person herausgegangen sein, so dass er dem Menschen, der jenseits des Meeres ist, den er nie von Angesicht erblickt hat, ebensosehr Gutes gönnt als dem, der bei ihm ist und sein trauter Freund ist. Solange du deiner Person mehr Gutes gönnst als dem Menschen, den du nie gesehen, solange bist du wahrlich im Unrecht und du schautest nie einen Augenblick in diesen einfachen Grund. Du hast freilich in einem abgezogenen Bild die Wahrheit wie in einem Gleichnis gesehen, es war aber nicht das beste. Zum zweiten sollst du reines Herzens sein, und das Herz ist allein rein, das alle Erschaffenheit vernichtet hat. Zum dritten sollst du das Nichts los sein.

    Es ist eine Frage, was in der Hölle brenne? Die Meister sagen gewöhnlich: Das tut der Eigenwille. Aber ich sage wahrlich: das Nichts brennt in der Hölle. Ein Gleichnis: Man nehme eine brennende Kohle und lege sie auf meine Hand. Sagte ich, die Kohle brenne meine Hand, so täte ich ihr gar unrecht. Soll ich eigentlich sagen, was mich brennt? Das tut das Nichts, weil die Kohle etwas in sich hat, was meine Hand nicht hat. Seht, eben dieses Nichts brennt mich. Denn hätte meine Hand alles das in sich, was die Kohle ist und leisten kann, so hätte sie völlige Feuernatur. Wenn einer dann alles Feuer, das je brannte, nähme und auf meine Hand schüttete, so könnte es mich nicht schmerzen. In gleicher Weise also spreche ich: Weil Gott und alle die, die im Angesicht Gottes sind, in der rechten Seligkeit etwas in sich haben, was die nicht haben, die von Gott getrennt sind, dieses Nichts allein peinigt die Seelen mehr, die in der Hölle sind, als Eigenwille oder irgend ein Feuer. Ich sage wahrlich: so viel Nichts dir anhaftet, so sehr bist du unvollkommen. Wollt ihr darum vollkommen sein, so müsst ihr das Nichts los sein. Darum heisst ein Wörtlein: »Gott hat seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt,« das sollt ihr nicht für die äussere Welt verstehn, wie er mit uns ass und trank, ihr sollt es für die innere Welt verstehn. So wahr der Vater mit seiner einfachen Natur den Sohn natürlich gebiert, so wahr gebiert er ihn in des Geistes Innigstem, und das ist die innere Welt. Hier ist Gottes Grund mein Grund und mein Grund Gottes Grund. Hier lebe ich ausser meinem Eigenen, wie Gott ausser seinem Eigenen lebt. Wer nur einen Augenblick in diesen Grund geblickt hat, dem Menschen sind tausend Pfund rotes geschlagenes Gold nicht mehr als ein falscher Heller. Aus diesem Innersten Grund heraus sollst du alle deine Werke wirken ohne ein Warum. Ich sage wahrlich: solange du deine Werke um des Himmelreichs, oder um Gottes, oder um deiner ewigen Seligkeit willen von aussen her wirkst, so lange bist du wahrlich im Unrecht. Man kann dich freilich so hingehn lassen, aber es ist nicht das Beste. Denn wahrlich, wenn du glaubst, du gelangest durch Innigkeit, durch Andacht, durch Willfährigkeit oder besondere Anstalten eher zu Gott als am Herd oder im Stall, so tust du nichts andres als wenn du Gott nähmest und wickeltest ihm einen Mantel um den Kopf und stecktest ihn unter eine Bank. Denn, wer Gott in einer Weise sucht, der nimmt die Weise und lässt Gott, der in der Weise verborgen ist. Aber wer Gott ohne Weise sucht, der nimmt ihn, wie er an sich selbst ist, und dieser Mensch lebt mit dem Sohne, und er ist das Leben selbst. Wer das Leben tausend Jahr lang fragte: Warum lebst du? wenn es antworten sollte, spräche es nichts anderes als: Ich lebe darum, weil ich lebe. Das kommt daher, dass das Leben aus seinem eigenen Grunde heraus lebt und aus seinem Eigenen quillt: darum lebt es ohne Warum, indem es sich selber lebt. Wer nun einen wahrhaften Menschen, der aus seinem eigenen Grunde heraus wirkt, fragte: Warum wirkst du deine Werke? wenn er recht antworten sollte, spräche er nichts anderes als: Ich wirke, weil ich wirke.

    Wo die Kreatur endet, da beginnt Gott zu sein. Nun begehrt Gott nichts anderes von dir, als dass du aus dir selbst, in kreatürlicher Weise, hinausgehst, und Gott Gott in dir sein lassest. Das geringste kreatürliche Bild, das sich in dir bildet, ist ebenso gross wie Gott. Warum? Weil es dich eines ganzen Gottes beraubt. Denn wo dies Bild hineingeht, da muss Gott und seine ganze Gottheit weichen. Aber wo dies Bild hinausgeht, da geht Gott hinein. Gott begehrt so gewaltig danach, dass du aus dir selbst, in kreatürlicher Weise, hinausgehst, als ob all seine Seligkeit daran liege. Fürwahr, lieber Mensch, was schadet es dir, dass du Gott gönnest, dass er Gott in dir sei? Geh doch Gott zu lieb aus deinem Selbst heraus, so geht Gott dir zu lieb aus seinem heraus. Wenn diese zwei hinausgehen, was dann zurückbleibt, ist ein einfach Eines. In diesem Einen gebiert der Vater seinen Sohn in dem Innersten Brunnen. Da erblühet der heilige Geist und da entspringt in Gott ein Wille, der der Seele zugehört. Und solange der Wille unberührt von allen Kreaturen und von aller Erschaffenheit steht, so lange ist der Wille frei. Christus spricht: »Niemand kommt in den Himmel, als wer vom Himmel gekommen ist.« Alle Dinge sind aus Nichts erschaffen, darum ist ihr eigentlicher Ursprung Nichts. Insofern sich dieser edle Wille zu den Kreaturen neigt, so verfliesst er mit diesen Kreaturen in ihr Nichts.

   Nun ist eine Frage, ob dieser Wille so verfliesse, dass er niemals mehr wiederkommen könne? Die Meister sagen gewöhnlich, er komme nie wieder, in-

sofern er in der Zeit verflossen ist. Aber ich sage: Wenn dieser Wille sich einen Augenblick von sich selbst und von aller Erschaffenheit wieder zu seinem Ursprung hinwendet, so steht der Wille in einer rechten, freien Art da und ist frei, und in diesen Augenblick wird alle verlorene Zeit wiedergebracht. Die Leute sagen oft zu mir: Bittet für mich. Da denke ich: Warum geht ihr heraus? Warum bleibt ihr nicht bei euch selbst und greift in euer eigenes Gut? Ihr tragt doch alle Wahrheit wesenhaft in euch. Dass wir so wahrhaft in ihm bleiben und alle Wahrheit ohne Mittel und ungeteilt in rechter Seligkeit besitzen mögen, das walte Gott. Amen.